Froschschenkel hat er sich anders vorgestellt. Ken Rojas knabbert einen panierten Schenkel, den er zuvor beim Wok-Koch gleich hinter sich bestellt hat. «Das habe ich noch nie probiert, aber hier schmecke ich primär die Panade», sagt der Koch mit Schweizer und philippinischen Wurzeln. Neben ihm sitzt sein Onkel, der sich genüsslich das Fleisch in den Mund steckt und gekonnt die Knöchelchen auf den Teller befördert.

Wir sitzen in Chinatown in Manila, der Hauptstadt der Philippinen. Rojas ist auf Recherche, im September hat er im Zürcher Niederdorf das Ora miteröffnet und Anfang März folgt das Latino Bistrot im Seefeld-Quartier. Der 26-Jährige hat in seiner Laufbahn schon einiges erlebt, von Gstaad bis nach Singapur hat ihn sein Beruf als Privatkoch geführt.

Ken Rojas hat von seiner Erkundungstour durch sein Heimatland Erfolge zu vermelden, denn er hat ein rares Salz gefunden. «Das werde ich beim Bistrot-Menü integrieren», sagt er. Das Salz ist eine Delikatesse, es wird in Handarbeit zu einem grossen Tropfen geformt. Wie genau das funktioniert, versucht er uns zu erklären. Die Handhabung werden wir abends hautnah miterleben, es wird übers Essen geraspelt wie Parmesan.

Unsere Tour durch Chinatown im Distrikt Binondo hat aber nicht auf den Plastikstühlen, sondern im Getümmel begonnen. Kaum einen halben Meter freien Platz gibt es in Metro Manila auf dem Trottoir, an jeder Ecke stehen kleine Wägelchen, aus denen Essen angeboten wird. Der Platz ist ausserdem rar, weil die Leute bei beliebten Takeaways Schlange stehen. «Hier gibt es frisch gepressten Zuckerrohrsaft», erklärte Ken Rojas und zeigt auf eine Menschentraube. Mit dem Saft vertrödeln sich die Leute die Zeit in der nächsten Warteschlange, um beim Grillmeister Tofu-Spiesse zu kaufen. Ihr Geheimnis liegt in der Marinade: Apfelsaft und Sojasauce. Letzteres ist ein Vermächtnis von Japan, das im Zweiten Weltkrieg das Land besetzt hat. «Wir haben natürlich unsere eigene Rezeptur der Sojasauce.»

Genüsse im Getümmel: Überall hat es Wägelchen mit Essen. © Claudia Salzmann

Nussige Margarine, filigrane Gyosa

Beim nächsten Wonton-Laden stehen ganz geduldige Hungrige bis um die Hausecke an. Ken Rojas hingegen führt uns daran vorbei, er kennt einen Geheimtipp. Dort haben wir Glück, denn gerade steht nur eine Person vor dem Lokal. Nach dem Klopfen schiebt Rojas die Türe auf und fragt in Tagalog, in der Landessprache der Philippinen, nach dem Angebot. Eine Frau wiegt gerade Mehl ab, um erneut Teig zu produzieren. Alles im Raum ist von einem leichten Mehl-Film überzogen. Ihr minimalistisches Menü: Schweinefleisch-Gyoza, gedämpft oder frittiert. Wir bestellen beides und setzen uns auf den Trottoir-Rand. Über die gedämpften Teigtaschen hat Rojas Sojasauce und Chili-Öl verteilt. So frisch, fein und filigran schmeckt das. Diese Station war der Einstieg in den «Naschmittag».

Zurück im roten Restaurant mit Lampions und Plastikstühlen hat Rojas nebst den Froschschenkeln noch mehr bestellt. Rindfleischstreifen mit Brokkoli, gebratenen Reis und in Butter frittiertes Pouletfleisch. Obwohl «Butter» natürlich nicht korrekt ist, denn damit kocht auf den Philippinen niemand. Zu warm sind die Temperaturen und zu unsicher die Kühlketten. «Die Margarine ist geklärt,deshalb bekommt das Fleisch so eine nussige Note», sagt Rojas und mampft zufrieden weiter.

Sonnengeküsster Tintenfisch

Als Dessert und Abschluss gibt es ein Spiesschen vom Grillwagen. Am Boden sitzt eine Familie, die gemeinsam eine Portion Pancit isst. Das sind Glasnudeln, die mit Rüebli, Frühlingszwiebeln, Kefen und Kohlstreifen gemischt werden. Für Vegetarier ist dies aber keine Option, denn entweder sind Crevetten, Poulet oder Fischsauce untergemischt. Oder gleich alle drei Zutaten.

Wir sind aber nicht wegen des Pancits am Stand, sondern für die gegrillten Spiesschen. «Sardellen und Tintenfisch werden sonnengetrocknet und so konserviert.» Er tunkt sie in einen Behälter mit Essig und Zwiebelstücken. Anders als die Einheimischen tut er das, bevor er die Spiesse der «Grilleurin» übergibt. So gehen wir kein Risiko für Bauchschmerzen ein. Nach einem Biss stellen wir fest: Es schmeckt wie Beef Jerky. Kein Wunder, der Prozess des Dehydrierens ist vom Prinzip her derselbe.

Aus der Feuerküche zu den Feinschmeckern

Manila steht auch auf der Landkarte der Feinschmecker. Das Restaurant Toyo ist in der renommierten Liste der Asia’s 50 Best gelistet. Ken Rojas kennt das Lokal bereits, und daher auch einen der Kellner, der ihm den besten Tisch direkt vor der Küche reserviert hat. Nicht nur für den ambitionierten Koch ist das wie Weihnachten und Geburtstag an einem Tag.

Mittlerweile hat sich Melvin Niklaus dazu gesellt, der schweizerisch-philippinische Doppelbürger absolviert ein Praktikum bei der Schweizer Botschaft und hat einiges an Kulinarischem entdeckt: Beispielsweise «Mais con Yelo», Maiskörner mit Glace-Schnee und Mango. Überhaupt Mango: Die Früchte sind omnipräsent, nicht nur an den Marktständen, sondern auch auf dem Teller – als Salatsauce, als Saft, zum Sticky Rice oder zur Verfeinerung von Thunfisch-Tatar. Dann gibt es noch die grüne Sorte, die man mit Salz snackt.

Ein Teller nach dem anderen wird uns im Toyo auf den Tisch gestellt. Die Brigade ist jung, das letzte Wort in der Showküche hat eine Frau. Insgesamt werden 22 Gerichte aufgetragen, der Preis für das Menü ist verglichen mit europäischen Massstäben moderat: 110 Franken bezahlen wir pro Kopf. Während die Portionen in Gourmetrestaurants angepasst werden und oft nicht mehr als einen Bissen sind, wird hier generöser aufgetragen. «Filipinos verstehen das Konzept nicht und wollen unbedingt Essen mit nach Hause nehmen», sagt Rojas.

Adobo und asiatisches Aromat

Mit Chinatown und dem Toyo haben wir zwei kulinarische Gegensätze gesehen. Ein typisches Gericht, dass die Foodtrucks und den Chef’s Table vereint, ist die Spezialität Adobo. Die Sauce dafür wird mit Essig, Sojasauce, Knoblauch und Pfeffer geschmort und zu einer dichten, würzigen Glasur reduziert. «Das Gericht schmeckt tief, herzhaft und nach zuhause – für viele das kulinarische Herz der philippinischen Küche», erklärt Rojas. Moderne Restaurants ersetzen das Fleisch mit Tofu oder Fisch, aber da rümpfen der Koch Rojas und der Foodie Niklaus beide die Nase.

Ein Geheimnis der philippinischen Küche, die mit wenigen, dafür umso frischeren Zutaten zurechtkommt: MSG, das in unseren Breitengraden zu Unrecht einen schlechten Ruf hat. Dahinter verbirgt sich Mononatriumglutamat, eine Art asiatisches Aromat. «Damit kitzelt man das Umami hervor.» In Kombination mit den Röstaromen der Woks entdeckt man hier Geschmack in neuen Dimensionen. In höhere Dimensionen will auch Ken Rojas. Nach der Eröffnung des Bistrots in Zürich arbeitet er auf ein Ziel hin: In drei Jahren will er einen Michelin-Stern haben. Mit den Ideen, den er aus der Küche seines Heimatlandes mitbringt, hat er dafür schon mal einen Vorteil.

Text und Bilder: Claudia Salzmann