Durch die Schweiz zieht sich so manche Grenzlinie (wenn auch meist in Witzen und Anekdoten). Da sind die Migros- und Coop-Kinder, die Berg- und Flachland-Kantone und irgendwo im Westen schlängelt sich der Rösti-Graben durchs Land. In der Stadt St. Gallen kommt noch eine weitere Unterscheidung hinzu: die Fanzirkel für eine bestimmte Metzgerei der St. Galler Bratwurst. Manch einer schwört auf die Würste der Metzgerei Schmid, andere auf die Waren der Metzgerei Bechinger aus St. Georgen andere wiederum auf die Metzgerei Signer aus dem St. Otmar-Quartier.

Regulierte Geschmacksvielfalt

Doch so gross (oder so klein – das kommt auf die Sichtweise an) die Geschmacksunterschiede auch sein mögen: Eines verbindet alle 40 Hersteller der originalen St. Galler Bratwurst nach der IGP-Version (Indications géographiques protégées): Sie erfüllen alle die strengen Kriterien des Pflichthefts der Sortenorganisationen St. Galler Bratwurst IGP. Darin ist zu lesen, dass das Bratwurstbrät zu je aus etwa einem Viertel Kalb-, Schweinefleisch und Speck sowie Milch zu bestehen hat. Fleisch und Milch müssen dabei zwingend aus der Schweiz stammen. Dazu kommen drei Gewürze: Salz, weisser Pfeffer und Macis (geriebene Schale der Muskatnuss).

Zu dieser Pflicht kommt noch die Kür, bei der die Metzgermeister ihre Kunst beweisen können. Denn bei der Herstellung der St. Galler Bratwurst sind noch weitere Zutaten erlaubt: nämlich Zwiebel, Zitrone, Kardamom, Koriander und Ingwer. Feine Nuancen, die eine grosse Geschmacksvielfalt hervorbringen können. Nach dem Abfüllen in eine Haut aus Schweinsdarm wird die rohe Wurst zehn bis zwanzig Minuten in etwa 70 Grad heissem Wasser gebrüht und danach im Eisbad rasch abgekühlt – und ab geht es auf den Grill.

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Eine Grillwurst par excellence

Auch wenn die «berühmteste St. Gallerin» ihren Weg des Öfteren in eine Bratpfanne findet, den wahren Geschmack entfaltet sie auf dem Grill. «Die St. Galler Bratwurst ist für den Rost gemacht und zeigt sich neben dem Cervelat als perfekte Grillwurst», so Urs Bolliger, Geschäftsführer der Sortenorganisationen St. Galler Bratwurst IGP. «Der Zusatz von Milch sorgt dabei nicht nur für die weisse Farbe der Wurst, sondern auch für Röstaromen aus karamellisiertem Milchzucker. Wenn einem bei einem Volksfest dieser Duft in die Nase steigt, dann erkennt man ihn sofort», fügt Bolliger an.

Deswegen sollte man sich beim nächsten Besuch in der Gallus-Stadt von der Nase leiten lassen. Insbesondere zur Mittagszeit «schmöckt» es an (fast) allen Ecken nach dem «Schönsten aller St. Galler Düfte», wie es hier heisst. Schon beim Bahnhof begrüsst ein grosser Grillstand der Metzgerei Schmid die Besucher. Also: Olma-Bratwurst schnappen (wie man die Wurst auch nennt) und auf gehts zum Sightseeing. An den herrschaftlichen Häusern der Stickerei-Barone vorbei, durch die Gassen der Altstadt mit ihren herrschaftlichen Erkern bis zu Klosternhof und der Kathedrale, dem Geburtsort der Stadt St. Gallen. Und der St. Galler Bratwurst.

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Ein Kloster als Gourmettempel

Denn mit drei Brauereien, drei Backstuben und den verbürgten üppigen Lieferungen von Fleisch, Fisch, Gemüse und Getreide war die mittelalterliche Fürstabtei auch ein Hort des Geniessens. Oder wie es ein Chronist einst spitzzüngig formulierte: Das Kloster St. Gallen sei der erste Gourmet-Tempel des deutschsprachigen Raums gewesen. Dass in dieser Genusskultur eine so feingeschmackliche Bratwurst entstand, verwundert also kaum. Es muss das 15. Jahrhundert gewesen sein, als die Mönche sich die erste Wurst schmecken liessen. Denn im Jahr 1438 wurde die Bratwurst in den Statuten der Metzgerzunft St. Gallen erstmals urkundlich erwähnt. Seit damals hat sich das Rezept übrigens kaum verändert.

Und wo geniesst man die Bratwurst nun am besten? Klassischerweise als «Fast Food» mit St. Galler Bürli direkt vom Grillstand. Wer es etwas gemütlicher nehmen möchte, der kehrt in eines der berühmten Erststockbeizli ein. Unser Tipp ist das Restaurant «Zum goldenen Schäfli», welches aus dem Jahr 1884 stammt und nur etwas jünger ist als die St. Galler Bratwurst. En Guete!

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