Blickt man bei Nacht aus dem Flugzeug, erkennt man meist nicht viel mehr als sein schwammiges Spiegelbild, welches das Oval ausfüllt. Gesichtskonturen, ausgemalt mit Texturen des Himmels und des reflektierten Innenraums des Airbus. Wer bin ich zwischen dem Übergangsbereich von hier und woanders, von Bern und Bali, Untergrund und Universum? Transzendierendes Ich. Ebenso verwischt sind über den Wolken die Grenzen der Nationen.

Nach wenigen Stunden, die dem Studium der Schattierungen von Schwarz dienten, taucht vor den Augen, die so nah am Fensterglas sind, wie es die Nasenspitze eben nun mal zulässt, Istanbul auf, der Umsteigeort. Von oben wirkt es zu dieser Uhrzeit, als hätten Diener einer orientalischen Königin ihre Kronjuwelen über schwarzem Samt ausgebreitet: Opalblau leuchtende Silhouetten, silberne Schillerpunkte, die wie mit der Pinzette an Ort und Stelle appliziert sind.

Nach schwerelosen Stunden am Flughafen Denpasar gelandet, geht es weiter mit den flackernden Lichtern, die nun hinter dem Taxifenster vorbeiziehen. Aus dem fahrenden Taxi heraus ändern sich die Sequenzen, als würde man sich Instagram-Story-Clips anschauen und dabei weiterwischen, ehe die jeweils maximal 15 Sekunden vorüber sind. Tempel, Skulpturen-Atelier, Streetfood, Supermarkt, Tempel, Hunde, Häuserzeilen, Händler – und wieder: Tempel. «Insel der Götter» ist kein Klischee, das man am anderen Ende der Welt kultiviert. Kleine Schreine mit Statuen und Opfergaben vor jedem Gebäude zeugen davon, wie allgegenwärtig Kultur und hinduistische Religion in Bali sind. Es gilt, mehrmals täglich die Hausgötter und Dämonen zu ehren zum Schutz vor Unheil.

Drei Motorroller von links, zwei von rechts, einer von schräg hinten – es würde einen irgendwie kaum erstaunen, wenn auch ein trickreich taktierender Töff von oben heranbrauste. Wildes Wuseln, abruptes Anhalten, hektische Handzeichen – im Strassenverkehr geht es zu wie auf einem Ameisenhaufen, von aussen ist es keine Ordnung, die regiert, vielmehr scheint das Kuddelmuddel irgendwie intuitiv zu funktionieren. Jenseits dieses Durcheinanders aus Herzklopfen, Hupen und Helmfrisuren verbirgt sich ein «Versteck»: das «Banyan Tree Escape».

«No walls, no doors»: 16 Villen mit je 160 Quadratmetern. © Banyan Tree

Naturklänge als Wecker

Nach kurvigen und enger wie unebener gewordenen Strassen, lässt sich bei der Ankunft in Buahan bei Dunkelheit lässt sich anhand der Silhouetten nur erahnen, wie elysisch die Szenerie zwischen Design und Dschungel ist. Wie das alles wohl am Tag aussieht? Die Antwort folgt mit dem ersten Augenaufschlag: Das Resort ist wie eine eigene Insel, die statt von Meer von Blättern in jeder erdenklichen Form und Farbe umgeben ist. Beim Zusammenkneifen der Augen erscheint es als getufteter Teppich – und ja, die Augen zusammenkneifen wird man hier öfter als sonst: Um die Szenerie scharfzustellen, die sichimmer wieder unwirklich diffus darstellt. Banyan ist ein Diffusor des Daseins, zerstreut die Zonen zwischen drinnen und draussen.

Der Tag bricht nicht mit dem Schrillen des Weckers, sondern mit dem ersten Sonnenstrahl, der durch das Blätterdach und die Gaze-Vorhänge gleitet. Es beginnt ein Konzert für welches die pfeifenden Protagonisten nicht auf Podesten, sondern auf Palmenästen posieren: Es zirpt, summt, tiriliert, raschelt und ruft in tausend Tönen. Gezwitscher macht glücklich.

Das ist nicht etwa Wildromantik, sondern Wissenschaft – sechs Minuten Fiepen und Piepen täglich sollen Ängste mildern und Wohlbefinden steigern. Wie entspannt werde ich mich fühlen, wenn ich dem nicht nur sechs Minuten, sondern stundenlang lauschen darf?

Ich erwache nicht nur im Dschungel, sondern mit ihm, die Haut feucht von der tropischen Lust. Mit weit geöffneten Ohren und Augen liege ich wie verwurzelt da, als hätte ich direkt auf der Erde gelegen, doch weiss ich mich auf einem kalkweissen Kingsize-Bett. Verschiedene Vögel geben sich sinnbildlich die «Klinke in die Hand» – sofern es denn welche gäbe: Das Konzept lautet «No walls, no doors», und so überschreitet man die imaginäre Schwelle zwischen Unikum und Urwald. Sechzehn Villen, liebevoll «Bales» genannt, schmiegen sich in die tropische Flora, die aus der Vogelperspektive fraktal anmutet. Die fassadenfreien Häuser sind in traditionellem indonesischem Design gestaltet. Sie tragen die Handschrift des lokalen Architekten Gede Kresna. Die Vision sei, dass «die Gäste sich mit den natürlichen Rhythmen der Welt in Einklang bringen». Dem Bau des Adults-only-Resorts ging ein viermonatiges Forschungsprojekt voraus, bei dem es darum ging, die lokale Kultur und Umwelt zu erkunden.

So ist das «Buahan, Banyan Tree Escape» auf drei Säulen aufgebaut: Verbindung zur Natur, Entdeckungserlebnis und Integration der Gemeinschaft.

Endlos-Erholung: Jede Bale verfügt über einen eigenen Pool. © Daniela Dambach

«Ich sehe etwas, was du …»

Kaum ziehe ich die federleichten Vorhänge mitsamt des Schattentheaters zurück, beginnt das übermütige Spiel von «Ich sehe etwas, was du nicht siehst …». Und das ist türkisblau. Es ist der private Swimmingpool, der scheinbar nahtlos in das Saftgrün übergeht, in Richtung von Balis sieben Gipfel. «Ich sehe etwas, was du nicht siehst …». Und das ist … sandbraun. – Der Couchtisch, der wie andere Möbel aus recyceltem Ulin-Eisenholz aus Kalimantan gefertigt ist. «Ich sehe etwas, was du nicht siehst …». Und das ist bastaltgrau. – Die Kaffeettassen, die den Händen balinesischer Keramikkünstler entsprungen ist. «Ich sehe etwas, was du nicht siehst …». Und das ist kupferfarbig. – Die freistehende, handgefertigte Badewanne aus Zentral-Java. Man könnte diese kleine Schule der Wahrnehmung beliebig weitertreiben. Doch, was man ganz bestimmt nirgends sieht: Kunststoff. Das Luxus-Resort ist komplett plastikfrei; Zucker und gemahlener Kaffee finden sich in Dosen, ein Kämmchen aus Bambus liegt bereit, Seife schäumt aus stilvollen Spendern.

So stehe ich da mit nackten Füssen und nackten Gedanken: Es mag der Punkt sein, an dem der Alltag endet und die Ahnung beginnt, welche Intensität an Eindrücken ich hier sammeln werde. Es sind solche, die Reisenden üblicherweise verborgen bleiben.

Sanskrit-Workshop im Resort in Bali
Sprache der Götter: Sanskrit-Workshop im Resort. © Daniela Dambach

Vom Dschungel zum Dining

«Sammeln» ist denn das Stichwort des Tages: Eine luftige Jeepfahrt endet auf der Farm in Signalring, wo die Zutaten für die Hotelküche ungeordnet gedeihen. Die Tour mäandert sich irgendwo zwischen Naturkunde, Naschwerk und Neugierde – wie die Flüsse, die auf dem Grundstück des Hotels zusammenströmen und den Neustart symbolisieren. «Foraging» ist eine Art kulinarische Schatzsuche, wo das Menü zwischen Moos und Morgentau wächst und die Finger zaghaft nach Früchten greifen, die der Gaumen noch nicht kennt. Wer hat schliesslich schon mal Cemcem-Blätter gekostet? Es gewagt, einen Tropfen rohen Honig aus einer jahrelang verschlossenen Holzkiste zu versuchen? Oder geflügelte Bohnen gegessen?

Man ist motiviert, der Natur mutig auf den Zahn zu fühlen – nur beim Verspeisen gegrillter Maden kneifen ich, meine Nase faltet sich reflexartig zu einem Origami-Kranich zusammen.

Der Guide zeigt, wo der Pfeffer wirklich wächst – dessen Beeren stibitzt man direkt vom Stiel. Die beachtliche «botanische Beute» landet schliesslich im Bastkorb – und in der «Open Kitchen», wo der Kochworkshop stattfindet. Offen gebaut, sodass auch der warme Wind ein- und ausgeht, zeigt der Küchenchef wie man daraus balinesische Spezialitäten zubereitet, unter anderem im Bambusrohr. In der traditionellen «Paon»-Küche arbeitet er mit Mörser und Stössel, geschmiedeten Messern und Utensilien aus Vulkangestein die würzige Essenz von Buahan heraus, einem der wohl fruchtbarsten Dörfer auf Bali. So stammen alle Ingredienzen aus dem Radius einer Gehstunde, deren Zubereitung gleicht einer Zeremonie.

70% «plant based»: Die Zutaten stammen aus nächster Nähe. © Banyan Tree

Im Zentrum des Universums

Auf das Räuchern folgen die Räucherstäbchen: Das «Zentrum des Universums» – oder zumindest im Herzen Balis – per Oldtimer-Cabrio mit Rihanna-Songs im Radio angesteuert und einen Sarong umgebunden, führt ein Hindu-Priester durch die Tempelanlage «Pura Agung Gunung Raung», die weit über 1000 Jahre alt ist. Mit einer Glocke rufe er die Dorfgemeinschaft jeweils zusammen, erklärt der Priester. «Alternativ auch per Lautsprecher», kommentiert er, «und wenn das nichts bringt: per Whats-App». Segnungen Klänge und Farben füllen das Herz ähnlich wie ein ausgemaltes Mandala. Rückblickend ist das nur eine Einstimmung auf das «Soul Freedom Journey»: Nach dem bedächtigen Bestücken der Palmblätter-Körbchen mit bunten Blüten, geht es über glitschige Steinwege hinab zum reissenden Fluss, in den der Tjampuhan-Wasserfall rauscht.

Der Wasserfall «Tjampuhan» in Bali
Für reinigende Rituale: Der Wasserfall «Tjampuhan» beim Resort. © Daniela Dambach

Der in eine weise Aura gekleidete Priester vollführt ein Reinigungsritual, schliesslich überlässt man die Opfergaben dem Strom, mitsamt den Altlasten aus dem Archiv der Seele. Mein Körper bibbert, als ich durch die wuchtigen Wassermassen wate, um auf die anderen Seite des Wasserfalls zu gelangen. Will ich schreien inmitten des feuchten Frangipaniwaldes? Schliesslich hallt mein uferloser Urschrei über die Felsen, als Echo allen Überdrusses. Ich meine es zu begreifen, die balinesische Philosophie von Sekala und Niskala, der gleichzeitigen Existenz von sichtbaren und unsichtbaren Welten, geht mir durch den Kopf, als ich im Flieger auf mein Glücksarmband «Tridatu» blicke. Von wegen «Ich sehe etwas, was du nicht siehst …». Die Erinnerung ist ein Fenster, durch das wir sehen können, wann immer wir es möchten. Wer vom «Banyan Tree Escape» zurückkehrt, weiss: es braucht nicht einmal ein Fenster dafür.

www.escape.banyantree.com